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Amazon schlägt zurück: Mit "Haul" und "Bazaar" klont der E-Commerce-Riese das Erfolgsrezept von Temu und Shein

Temu und Shein versenden Billigware aus ChinaBilligware aus Fernost hat Europa im Sturm erobert und ist hier offenbar sehr beliebt, alleine in Deutschland kommen täglich zwischen 350.000 und 400.000 Pakete an. Shein und Temu sind so erfolgreich, dass die üblichen Transportwege in die Knie gehen. Der EU sind die meist zollfreien Einfuhren schon länger ein Dorn im Auge und man möchte - wie man es von der EU kennt - "regulierend" eingreifen. Sprich: man will den Billig-Importen den Riegel vorscheieben.

Was die meisten EU-Parlamentarier dabei gerne übersehen: Der Plunder, der bei z.B. KiK, Primark, Poco oder Tedi in den Regalen verstaubt oder von BonPrix versendet wird, kommt meist aus denselben Fernorst-Schneidereien, wie das Angebot von Temu & Co - nur dass das eben zum mehrfachen Preis verhökert wird. Auch Amazon ist da keine Ausnahme, auch dort werden billig hergestellte, identische Produkte aus China, Vietnam und Bangladesh weitaus teurer verkauft. Das lassen sich viele Kunden nicht mehr gefallen und wechseln direkt zum Hersteller. Doch bei Jeff Bezos' Bauchladen denkt man immerhin mit und will den Billigheimern aus Fernost mit einem eigenen Angebot entgegentreten.

Der Discount-Angriff: Wie Amazon das Ultra-Billigsegment erobern will

Seit Jahren galt Amazon als Nonplusultra des westlichen E-Commerce. Doch der rasante Aufstieg chinesischer Händlerplattformen wie Temu und Shein hat den Riesen aus Seattle in Zugzwang gebracht. Diese Newcomer haben mit einer aggressiven Niedrigpreisstrategie, direktem Versand aus China und einer extrem breiten Palette an Lifestyle-Artikeln eine neue Kundenschicht erobert: preissensiblen Käufer, die Geschwindigkeit gegen Preis eintauschen.

Amazons Antwort darauf ist eine strategische Kehrtwende, die unter zwei Namen firmiert: Amazon Haul und die neue, eigenständige App Amazon Bazaar. Es handelt sich um Amazons klaren Versuch, das erfolgreiche Ultra-Billig-Geschäftsmodell seiner chinesischen Konkurrenten zu klonen und die abwandernden Kunden zurück ins eigene Ökosystem zu holen.

Zwei Plattformen, ein Ziel: Haul und Bazaar im Detail

Amazons Strategie, um Temu und Shein die Stirn zu bieten, ist zweigleisig und unterscheidet sich je nach Zielmarkt:

1. Amazon Haul: Der Einstieg in etablierten Märkten (USA, Deutschland, UK)

  • Was es ist: Amazon Haul ist kein völlig neuer Onlineshop, sondern eine spezielle, in die bestehende Amazon Shopping App integrierte Sektion.

  • Das Preismodell: Haul konzentriert sich auf Tausende von Produkten, die 20 Euro/Dollar oder weniger kosten, wobei viele Artikel sogar für nur einen Euro oder zwei Dollar erhältlich sind.

  • Verfügbarkeit: Haul wurde zunächst in den USA und Großbritannien eingeführt und ist mittlerweile auch in der Beta-Version für ausgewählte Kunden in Deutschland verfügbar (Stand 2025).

  • Marketing-Strategie: Ähnlich wie Shein setzt Amazon hier stark auf visuelles Marketing und die Zusammenarbeit mit Influencern, um spontane Kaufimpulse zu wecken.

2. Amazon Bazaar: Die eigenständige App für Schwellenländer

  • Was es ist: Amazon Bazaar ist der nächste Evolutionsschritt: eine völlig separate und eigenständige App.

  • Der Fokus: Bazaar richtet sich gezielt an Schwellenländer in Asien, Afrika und Lateinamerika (z. B. Philippinen, Nigeria, Peru).

  • Das Ultra-Discount-Modell: Die Plattform bietet extrem günstige Produkte an, von denen die meisten unter 10 US-Dollar und einige Artikel sogar ab 2 US-Dollar kosten.

  • Geschäftsmodell für Händler: In einigen Märkten bietet Amazon für Bazaar ein attraktives Modell ohne die übliche Referral Fee (Vermittlungsgebühr) für Händler von Niedrigpreis-Artikeln an. Dies soll lokale Händler anlocken und extrem wettbewerbsfähige Preise ermöglichen.

Die strategische Abkehr: Das neue Amazon-Geschäftsmodell

Um mit der chinesischen Konkurrenz mithalten zu können, muss Amazon fundamentale Prinzipien seines Kerngeschäfts lockern:

  1. Längere Lieferzeiten: Anstatt auf die gewohnten 1–2 Tage Prime-Lieferung zu setzen, akzeptieren Haul und Bazaar längere Versandzeiten von meist zwei Wochen oder weniger. Dies ist notwendig, da die Produkte direkt von den Produzenten aus China oder anderen Quellen versandt werden, was immense Lagerkosten spart.

  2. Keine Prime-Vorteile: Um das Premium-Image von Prime zu schützen und die Kosten niedrig zu halten, sind Prime- oder Business-Vorteile bei Haul und Bazaar in der Regel nicht verfügbar.

  3. Fokus auf Preis-Leistung: Das Sortiment ähnelt dem von Temu und Shein: Es umfasst hauptsächlich markenlose und preiswerte Artikel aus den Kategorien Mode, Haushaltswaren, Beauty und Elektronikzubehör.

  4. Kundenservice als USP: Wo Temu und Shein oft wegen mangelhafter Produktqualität kritisiert werden, spielt Amazon seinen größten Vorteil aus: Es bietet den bekannt zuverlässigen Amazon-Kundenservice und verspricht, alle Produkte strengen Compliance-Prüfungen zu unterziehen, um die Produktsicherheit zu gewährleisten.

Der Kampf um die "Geiz-ist-geil"-Käufer

Mit Haul und Bazaar reagiert Amazon nicht nur auf eine Marktverschiebung, sondern versucht, einen neuen, kritischen Kanal zu kontrollieren. Der E-Commerce-Riese erkennt an, dass ein großer Teil der Kunden bereit ist, für den niedrigsten Preis auf die schnelle Lieferung zu verzichten - eine Tatsache, die bei der EU erst noch ankommen muss.

Amazon muss nun beweisen, dass es das Billigsegment effizient bedienen kann, ohne die eigene Marke zu verwässern.

Aber: Durch die Nutzung seiner riesigen Logistikinfrastruktur und seines vertrauenswürdigen Namens hat Amazon die besten Voraussetzungen, um den chinesischen Rivalen in ihren eigenen Disziplinen gefährlich zu werden und den Billig-Kampf im globalen E-Commerce neu zu entfachen. Für uns Kunden bedeutet dies: Mehr Auswahl, bessere Absicherung und – vor allem – noch günstigere Preise. Im Prinzip nennt man das Marktwirtschaft und das wollen doch immer alle.

Die scheinheilige Rolle der EU

Auch wenn sich die EU in ihren Verlautbarungen die "heimischen Märkte" auf die Fahnen geschrieben hat. Die gibt es seit 30 Jahren nicht mehr, wenn man von Poloshirt-Urgestein Wolfgang Grupp mal absieht. Allenfalls im oberen Preissegment wird noch in Europa produziert, aber selbst Haute-Couture-Schneider lassen von eingeflogenen Vietnamesen unter unbeschreiblichen Zuständen in Süditalien produzieren - wo sich sogar noch die Mafia eine dicke Scheibe runterschneidet. Soviel zum Thema Lieferkettengesetz. Im Gegenteil, die Regulierungswut der EU hat bisher eher dazu beigetragen, dass Mittelständler und Kleinunternehmer das Handtusch werfen - oder eben in Fernost produzieren lassen. Oder gleich ganz von den Chinesen übernommen wurden.

Darüber hinaus wird in Brüssel ein Billigversender immer ausgenommen. Wieso redet eigentlich niemand über wish.com? Das Unternehmen sitzt zwar in San Francisco - vertickt aber genau des selben Plunder wie Temu & Co. - und profitiert dabei von den gleichen zollrechtlichen Konditionen - die nochmal wer ins Leben gerufen hat? Richtig... Und generiert damit ganz ähnliche Verkaufszahlen. Ist das jetzt besser - nur weil es aus Amerika kommt? Fragen über Fragen, die dafür sorgen werden, dass noch jede Menge Kunden zu den Chinaplattformen abwandern werden.

Foto: Daniel Neves Cotta

14.11.2025

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