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Abstieg eines Sex-Imperiums
Wenn es eine Insolvenz in die Tagesschau schafft, kann man davon ausgehen, dass das betroffene Unternehmen von entsprechender Wichtigkeit ist. Und die lässt sich nicht immer nur an der Vorjahresbilanz festmachen. In diesem speziellen Fall sind wohl Historie, Bekanntheitsgrad und Reputation das entscheidende Kriterium.
Einst Börsenstar - heute Pflegefall. Deutschlands ältester und einst Europas größter Erotikkonzern "Beate Uhse" hat wegen drohender Zahlungsunfähigkeit Antrag auf Insolvenz gestellt. "Der Vorstand hat sich zu diesem Schritt entschlossen, um die Sanierung der gesamten Gruppe in Eigenverwaltung nachhaltig umzusetzen", so ein Unternehmenssprecher. Zudem betreffe die Insolvenz nur die Holding-Gesellschaft "Beate Uhse AG", die Tochtergesellschaften in Deutschland und Holland halten den Geschäftsbetrieb uneingeschränkt aufrecht.
Was ist da passiert? Wir dachten immer, "Sex sells"? So einfach ist das dann scheinbar doch nicht mehr, gerade weil der Flensburger Konzern mehr als einmal die Zeichen der Zeit verschlafen hat - wie so viele, die davon träumten, dass das Internet nur eine vorrübergehende Erscheinung ist.
Dazu gehört ein hakeliger Online-Shop mit dem Charme einer Swingerclub-Website - und die zwanghaft abgearbeiteten Social-Media-Aktivitäten zünden auch nicht wirklich. Da hat die Konkurrenz ganz andere Eisen im Feuer, amorelie.de, eis.de, dildoking.de und mit ihnen viele andere kommen erfrischend und pfiffig daher, stellen die Zielgruppe "Frauen" verstärkt in den Fokus der Warenpräsentation und haben offenbar Marketing-Personal beschäftigt, die mehr können, als sich durch Stockphoto-Datenbanken zu klicken. Lediglich der ORION-Versand agiert auf einem ähnlichen Level und wirkt im Netz wie eine verstaubte Beate-Uhse-Kopie.
In den guten Lagen von Großstädten sind mittlerweile einige Ladengeschäfte zu finden, die hell, offen, entspannt, hochwertig und frauenfreundlich Erotikspielzeug und Dessous offerieren. Zudem kooperieren einige der neuen Erotikhändler mit Drogeriemärkten, was auch ohne eigene Läden für Multiplikation sorgt. Der Besuch in den noch bestehenden 43 Beate-Uhse-Läden hingegen gleicht einer Zeitreise in die 70er und 80er, als noch verschämt "Ehehygiene-Artikel" bestellt wurden und in Beates Schmuddelkabinen Cicciolina, Tracy Lords, Ron Jeremy und Rocco Siffredi aktionsreich ihre Weichteile in Szene setzten.
Sex sells. Immer noch. Und Sex-Toys erst recht. Es reicht aber nicht, ein paar Läden zu schließen und einen lieblosen Online-Shop ins Netz zu stellen. Mit dem Namen "Beate Uhse" und ihrer beispiellosen Erfolgsgeschichte, einer fein präsentierten und hochwertigen Produktpalette und einem stimmigen Online-Marketing-Konzept lassen sich auch im 21. Jahrhundert viele Kunden glücklich machen - und damit lässt sich Geld verdienen. Bitte holt noch ein paar spritzige Influencer ins Boot, die - ganz ähnlich wie das junge Modeketten machen - die Produkte und Angebote des Flensburger Erotikversands viral pushen, das kann doch nicht so schwer sein.
Und hörthört, mit Marketingchef Harald Piendl, der früher für Red Bull gearbeitet hat, ist mittlerweile ein Fachmann an Bord, die das Ruder hoffentlich noch herumreißen kann. Das Insolvenzverfahren hingegen kann das Unternehmen bei Investoren durchaus wieder interessant machen, dann wäre auch das nötige Geld in der Kasse, um ein paar Weichen zu stellen.
Michael Schmidt
Foto: johanjk
18.12.2017
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