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Die digitale Schule - ein Trauerspiel im Staate Neuland
Am 13. März entschieden die meisten Landesregierungen, alle Schulen zu schließen. Ein richtiger Schritt um Schlimmeres zu vermeiden - doch die Corona-Krise hat allen gezeigt, die es vorher nicht wissen wollten: Der digitale Unterricht in Deutschland, der in Krisenzeiten so dringend nötig wäre, funktioniert nicht oder findet gar nicht erst statt. Lehrerverbände, Kultusminister und Bundesregierung: Ab in die Ecke, Tadel und Verweis, 6, Setzen!
Klar, ein paar Eliteschulen und private Gymnasien machen auch hierzulande vor, wie es sein könnte, wenn man nicht die letzten 15 Jahre geschlafen hätte. Da gibt es die volle Dröhnung digitaler Unterricht mit ausgereiften Software-Lösungen, Kommunikation über moderne Konferenzschaltungen und einen digitalen Austausch der entsprechend vorbereiteten Unterlagen und Lernmaterialien. Eingespielte und mit dem System vertraute Pädagogenteams organisieren den Unterricht über Office 365, Google Classroom oder Mebis. Und auf den Schreibtischen der Zielgruppe steht feine Hardware der neuesten Generation. So macht Lernen Spaß und das meiste, was durch die Quarantäne ausfällt, kann smart mit Laptop und Webcam kompensiert werden.
Nicht so in der normalbundesdeutschen Schullandschaft. Aber was soll man denn auch erwarten, wenn schon benutzbare Turnhallen, halbwegs funktionierende sanitäre Einrichtungen, eine aktuelle Rechner- und Präsentationstechnik und moderne Lehr- und Lernkonzepte Wunschträume von Lehrern, Eltern und Schülern sind.
Da wurschtelt jeder Pädagoge mit seinen bescheidenen Mitteln vor sich hin, da wird improvisiert und ausprobiert, da wird Datenschutz zur Lachnummer und wenn der Schüler keine Technik im Haus hat - da ist das dann halt so. Da werden Buchseiten mit dem Handy abfotografiert und per Email versendet, da werden Lernmaterialien in ganz unterschiedlichen, teilweise exotischen Formaten bei zwielichtigen Cloud-Services zwischengespeichert, da wird runtergeladen, ausgedruckt, ausgefüllt, mit Handy abfotografiert und unverschlüsselt zurückgeschickt mit Tools, die eben greifbar sind - oder von denen man annimmt, dass sie bei der Schülerschaft verbreitet sind.
Die Verantwortung, einen digitalen Unterricht zu organisieren wird in die Hände eines Lehrerkollegiums gelegt, welches mit dieser Aufgabe völlig überfordert ist. So sind kaum funktionierende und bunt gemischte Toolbiotope entstanden - Frau Müller verwendet die schuleigene Cloud-Lösung, Frau Meier kennt sich mit Google Classroom aus, Herr Schulze schwört auf seinen Dropbox-Account - die anderen versenden einfach E-Mails, natürlich unzertifiziert und unverschlüsselt von ihren privaten Accounts. Die Kinder sind gezwungen, sich durch eine digitale Wüste zu kämpfen, die sie nicht zu verantworten haben. Und um auch wirklich alle Schüler zu erreichen, werden zudem noch Briefe verschickt - denn es ist nun mal Tatsache, dass viele Kinder entgegen aller Annahmen keine vernünftige Technik zu Hause haben.
Man kann der Lehrerschaft keinen Vorwurf machen. Was Pädagoginnen und Pädagogen derzeit teilweise leisten, verdient Anerkennung. Eine ganze Berufsgruppe muss nun ausbaden, was Politik und Verbände jahrelang vermasselt haben. Noch 2016 - als die damalige Bundesbildungsministerin Johanna Wanka fünf Milliarden Euro in Digitaltechnik an Schulen investieren wollte, hatte sich der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Josef Kraus, gegen Computer an Schulen ausgesprochen ("Wir brauchen keine Laptop-Klassen") - und auch sonst in vielen Interviews seine altbackenen, bürokratischen Denkmuster zum Besten gegeben. Die damals stolz zur Schau gestellte Innovationsfeindlichkeit fällt der Institution Schule heute mächtig auf die Füsse.
Doch auch die aktuelle Bildungsministerin hat trotz vollmundiger Ankündigungen nicht das Tempo vorgelegt, welches angesichts der Situation der Schulen nötig gewesen wäre. Zwar ist seit einem Jahr der "DigitalPakt Schule" in Kraft - doch erst die Corona-Krise hat für den nötigen Druck gesorgt, aufs Gaspedal zu treten und die benötigten Millionen schnell und unkompliziert locker zu machen. 100 Millionen liegen derzeit auf dem Tisch - ein Tropfen auf dem heißen Stein für all das, was in den vergangenen Jahrzehnten liegengeblieben ist.
Die Zeit, in der die Schüler krisenbedingt noch zu Hause herumgammeln, sollte gewinnbringend genutzt werden. Nun muss endlich Geld in die Hand genommen werden, um den Investitionsstau an deutschen Schulen wegzuarbeiten - und die Schulhäuser mit Lerntechnik aus dem 21. Jahrhundert auszustatten. Wir brauchen gut informierte Lehrkräfte, die eine Vorstellung davon haben, wie Digitaltechnik intelligent und kreativ an Schulen eingesetzt werden kann. Wir brauchen neue und innovative Lernkonzepte, die die Technik souverän in das Unterrichtsgeschehen einbindet - ganz gleich ob die Schülerinnen und Schüler im Klassenzimmer sitzen oder - wie aktuell - zu Hause.
Eine gute Bildung wird in den kommenden Jahrzehnten überlebenswichtig sein für dieses unser Land. Und es braucht vom Lehrpersonal über Rektoren, Lehrerverbände bis hin zur Bundesregierung wirksame Impulse und einen leidenschaftlichen Einsatz für eine neue, digitale Schule - wenn unsere Kinder auf dem globalisierten Jobmarkt der Zukunft nicht chancenlos untergehen sollen.
Foto: Dids
30.04.2020
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